Samstag, 22. Februar 2014

Der Käfer

                                                     !!! gesehen im Heimathafen Neukölln !!!

Du Schmarotzer! Du Harzer! Du Parasit! Du Faulenzer! Nichtsnutz! Assi!

Arbeitsunfähigkeit wird schon seit jeher nicht nur nicht akzeptiert, sondern verurteilt und mit Verachtung und Ehrlosigkeit bestraft.
Genauso ergeht es Gregor Samsa, der als Textilmessevertreter im Außendienst arbeitet und nach 5 Jahren Arbeit und frühmorgendlichem Aufstehen plötzlich als Käfer erwacht und von einem auf den anderen Tag arbeitslos ist. Plötzlich wird er von seiner Familie als Parasit wahrgenommen und wird zum Pflegefall. Seine Schwester, die den Käfer pflegt und deren Haltung so aufopfernd wirkt, positioniert sich damit geschickt und macht sich so unverzichtbar.Letztendlich verbessert sich Gregors Lage nicht, sondern sie findet die finale Katastrophe im eintretenden Tod Gregors ausgelöst durch den Vater.

Im Theaterstück wird die Familie wie eine dieser Familien aus dem Nachmittagsprogramm von RTL dargestellt. Der Vater, ein arbeitsloser, ungebildeter Egoist im Polyester-Sportanzug mit Gummilatschen und Bierbäuchlein; die Mutter, eine zwar liebende, aber sehr debile und weinerliche Person, die einem in ihrer passiven, unterwürfigen Art sehr auf die Nerven geht! Die Schwester, anfangs wirkt sie sehr mitfühlend und interessiert an Gregors Lage, später stellt sich allerdings heraus, dass dies alles nur aus Berechnung geschieht. Gregor, der anfangs die volle Verantwortung für die finanzielle Situation der Familie trägt, erleidet ein Burnout, was sich in der Verwandlung zu einem Käfer, einem Parasiten äußert. Dadurch ändert sich die Familienkonstellation. Das Geld muss nun auf andere Weise hereinkommen und der untätige Teil der Familie wird zur Arbeit gezwungen. Die augenscheinlichen Fettpölsterchen des gealterten Vaters entpuppen sich als zurückgehaltene Ersparnisse, die schon längst die Schulden hätten tilgen können, die Gregor zu der einstmals aufopfernden Arbeit zwangen. Der aus Selbstschutz entstandene Panzer Gregors wird vom Vater jedoch leichterhand zerstört. So verlässt der nun ungebetene Gast das wankende Schiff. Keine Träne wird ihm nachgeweint!

Das Theaterstück eröffnet dem Publikum eine weitere Sicht auf unser gesellschaftliches Leben und das Werk Kafkas. Letztendlich sollte doch jeder sein Leben nach seinen Vorstellungen gestalten dürfen. In unserer Gesellschaft wird allerdings jeder, der sich weigert Leistung zu erbringen (und tut er es auch unfreiwillig wie Gregor) aus dem gesellschaftlichen Leben ins Abseits gekickt und als Parasit wahrgenommen.
Warum werden HartzIVler und Langzeitarbeitslose immer verurteilt und diskriminiert?
Etwa weil sie uns aufs Portmonnaie drücken? Weil es gegen die gesellschaftlichen Konventionen geht nicht zu arbeiten? Oder weil die, die so viel an Zeit verfügen, diese oft ungenutzt verstreichen lassen?

pulinetondine

Sonntag, 2. Februar 2014

Mauern einreißen



"Mauern einreißen"; der Titel des Debütwerkes von der in der DDR-aufgewachsenen und -sozialisierten Anke Domscheit-Berg. Heute sitzt sie in der Piratenpartei und wird bald für die EU-Wahl kandidieren. In ihrem biografischen Werk geht es um Mauern jeder Art, die es gilt einzureißen. Es beginnt mit einer realen Mauer, der Mauer, die Deutschland lange trennte in BRD und DDR. Schon früh engagierte sie sich für bessere Bürgerbeteiligung in der DDR und war sehr politisch engagiert schon zu Studienzeiten. Sie studierte Textilkunst in Schneeberg in Sachsen. Noch heute beschäftigt sie sich gerne mit Textilem neben ihrer eigentlichen Arbeit. Sie war lange aktiv als Unternehmensberaterin und wurde zur Fachfrau in Fragen, was die Geschlechtergerechtigkeit vor allem in der Wirtschaft angeht. Ein weiteres Thema für das sie sich einsetzt, ist die Sicherheit des Einzelnen im Netz. Darüber hinaus möchte sie statt dem "gläsernen Bürger" den "gläsernen Staat" und ist Verfechterin von so liberalen Themen wie dem bedingungslosen Grundeinkommen. Sie ist Gründerin und Betreiberin der Websites fempower.me und opengov.me. Zusammen mit ihrem Ehemann Dominik Domscheit-Berg (der unter anderem bei Wikileaks mitwirkte) lebt sie in Brandenburg.

Clinker-Lounge, 20:00 in der Nähe vom Alex. In einem gemütlichen Kellerraum, gedämpftes Licht. Viele interessante Gesichter.
Anke Domscheit-Berg trägt ein paar Ausschnitte aus ihrem biografischem Werk vor, es geht um "diese Mauern". Die Mauer, die Deutschland teilte, die gläserne Decke, an die Frauen in Männer-dominierten Branchen stoßen und der Staat, der sich von seinen Bürgern abgrenzt und eigene Sache macht ohne Möglichkeiten der Mitbestimmung seitens der Bürger.
Nach einem kurzen Ausflug in ihre Biografie und die damit verbundenen Themen, beginnt die Podiumsdiskussion. Mitherausgeber der FAZ und Autor Frank Schirrmacher, der Anke Domscheit-Bergs Werk bereits passagenweise vorveröffentlichte, betritt die Bühne. Ein Gedanke, der in ihrer Biografie thematisiert wird, und den Frank Schirrmacher besonders hervorhebt, ist die Kritik an der vermeintlichen Unveränderlichkeit unser politischen sowie gesellschaftlichen Situation, die aber jederzeit, wie das Bespiel des Mauerfalls zeigt, gebrochen werden kann. Der Trott der westlichen Staaten, der Politik und der Bürger, der sich so sehr in unser Denken eingegraben und festgesetzt hat, wie eine Zecke.

Eine Diskussion kommt nicht so richtig zu Stande, da sich die beiden Diskussionspartner zu sehr in ihren Meinungen gleichen. Kurz vor Schluss kommt es dann aber doch noch zu einer Störung des bislang so harmonischen Bildes. Frank Schirrmacher, der darauf hingewiesen wird, dass in den führenden Positionen der FAZ nur um die acht Prozent Frauen eine Rolle spielen, verwickelt sich in Widersprüchlichkeiten. Zwar steht er dem Gedanken der Geschlechtergerechtigkeit positiv gegenüber, aber setzt diese nicht in seinem eigenen Unternehmen durch und kommt mit so ausgelutschten und unzureichenden Ausreden daher wie: die Medienbranche sieht sich nicht in der Lage mehr Personal einzustellen, aufgrund der rückgehenden Einnahmen durch Umstellung von Print auf Internet, und hält es deshalb nicht für möglich mehr weibliche Kollegen in Führungspositionen einzubringen.
Aber gerade die Aussage Anke Domscheit-Bergs, dass nichts so bleiben muss, wie es ist, nur weil es schon immer so gewesen scheint und das man bei sich selbst anfangen sollte die Sachen, die stören, zu ändern; dort nimmt er sich selbst heraus. Seine nach außen hin geschlossen überzeugte Haltung gegenüber dem Werk von Anke Domscheit-Berg bricht hier auseinander.

Aber schön, dass man sich mit solchen Themen befasst. Ein schöner Abend, ein interessanter Abend, der uns in neue Diskussionen stürzt.

Pulin & Ondine